Wenn es darum geht, Gebäude nachhaltig zu entwickeln, spielen Zertifizierungen eine immer größere Rolle. Der Immobilienberatungsagentur BNP Paribas Real Estate zufolge werden in Deutschland jährlich rund 250 Gebäude zertifiziert. Im Jahr 2022 seien rund 11,2 Milliarden Euro bei Singledeals mit zertifizierten Gebäuden erzielt worden.
Die Bedeutung von Nachweisen, welche die Umweltfreundlichkeit eines Gebäudes bestätigen, wächst, doch gleichzeitig gibt es auch Kritik an grünen Gebäudezertifikaten. Die Zertifikate entsprächen eher Marketing-Maßnahmen und verbesserten demnach die ökologische Qualität nicht wesentlich. Die Nachfrage nach sogenannten Green Buildings wird jedoch kaum abnehmen, denn die EU treibt den „Green Deal“ voran und auch Investoren favorisieren mittlerweile nachhaltige Fonds, die dem Artikel 8 oder 9 der Offenlegungsverordnung entsprechen.
Die Zertifizierungssysteme LEED, BREEAM und DGNB sind für den deutschen Immobilienmarkt besonders relevant. Sie bewerten Gebäude anhand verschiedener Kriterien und deklarieren diese gegebenenfalls als „grün“. Jedes System hat unterschiedliche Bewertungsstufen: LEED vergibt Zertifikate in den Stufen Basis, Silber, Gold und Platin, während DGNB ein Gebäude in die Kategorien Bronze, Silber, Gold oder Platin einstuft.
Die BREEAM-Zertifizierung bewertet Gebäude auf einer Skala von Null bis 100 Punkten. Je nach Punktzahl, die erreicht wurde, wird einer der fünf (Neubau) beziehungsweise sechs Exzellenzgrade (Bestand) verliehen: Ausreichend, befriedigend, gut, sehr gut, exzellent oder herausragend. Jeder Exzellenzgrad ist mit einer bestimmten Anzahl von Sternen verbunden.
Nachhaltigkeitssiegel haben unterschiedliche Anforderungen
Die Zertifikate dienen als Maßstab dafür, wie nachhaltig und umweltfreundlich ein Gebäude ist. Dabei haben die verschiedenen Nachhaltigkeitssiegel gänzlich unterschiedliche Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Gebäude dieses erhält. Und auch weil Baustandards international stark variieren können, ist es schwierig, Gebäude allein auf Basis ihrer Zertifizierungen zu vergleichen. Ein in einem Land hoch bewertetes Gebäude kann in Deutschland bereits den gesetzlichen Mindestanforderungen entsprechen, selbst ohne ein grünes Siegel. Zwar fördern große, anerkannte Zertifizierungssysteme die Transparenz und machen Immobilien international vergleichbarer, doch ein einheitliches Siegel lässt weiterhin auf sich warten.
Grundsätzlich bedeutet nachhaltiges Bauen, den Einsatz von Rohstoffen und Energie in allen Phasen des Lebenszyklus eines Gebäudes zu optimieren. Viele Siegel vernachlässigen etwa die Nutzungs- und Rückbauphase. Nachhaltigkeit in der Baubranche generell umfasst sowohl ökologische als auch ökonomische und soziale Ziele oder, anders formuliert, den Schutz der Umwelt, die Entwicklung langfristiger wirtschaftlicher Strategien und die Berücksichtigung sozialer Aspekte. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es sinnvoll, die Nachhaltigkeit von Immobilien anhand anderer Parameter zu bewerten. Ebenso bedeutend wie die Frage danach, wie nachhaltig ein Gebäude gebaut wurde, ist die Frage, ob ein Gebäude während seiner Nutzungsphase einen positiven oder negativen Effekt auf die Erderwärmung hat – das vermag jedoch bis dato keines der bekannten Siegel zu beurteilen.
Nichtsdestotrotz unterstreicht ein Siegel zumindest den Anspruch von Projektentwicklern, nachhaltig zu handeln. Doch auch ein Gebäude ohne Siegel kann nachhaltig sein. Gerade viele kleinere Projektentwickler etwa verzichten auf Siegel, da diese kostspielig sein können, erfüllen aber dennoch die Anforderungen der diversen Zertifikatsemittenten.
Nicht alle Nachhaltigkeitsaspekte werden im kollektiven Bewusstsein wahrgenommen
Darüber hinaus berücksichtigen viele Projektentwickler Nachhaltigkeitsaspekte, die im kollektiven Bewusstsein noch nicht als solche wahrgenommen werden. Beispielsweise der Aspekt der sozialen Nachhaltig- und Gerechtigkeit wird häufig nicht oder nur selten berücksichtigt. Das umfasst etwa die Barrierefreiheit, aber auch die Inklusion, insbesondere bei Wohnimmobilien. Die Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit eines Gebäudes sind entscheidend dafür, ob es als nachhaltig angesehen werden kann – oder anders formuliert: Selbst ein Gebäude, das zu 100 Prozent aus recycelten Baustoffen besteht, ist nicht nachhaltig, wenn es nur den Bedürfnissen eines durchschnittlichen Mieters entspricht und nach dessen Auszug aufgrund mangelnder Perspektive abgerissen werden muss. Dennoch würde es aber nach den derzeit geltenden Richtlinien als ökologisch gelten. Derzeit finden außerdem kulturelle und historische Werte wenig Aufmerksamkeit in den Kriterien bezüglich der Nachhaltigkeit eines Objekts. Der Erhalt dieser Werte steht jedoch ebenso im Sinne der Nachhaltigkeit.
Nach diesem Vorbild entwickelt die DKW AG in Hannover das track16. Hierbei bilden eine denkmalgeschützte Jugendvilla und ein wegweisender Neubau eine Symbiose. Bei diesem Projekt wird viel Wert daraufgelegt, Baustoffe wiederzuverwenden und recyclingfähige Materialien einzusetzen. Ebenfalls in Hannover entsteht das Projekt EilersWerke. Dort entwickelt die DKW AG ein autofreies und 125.000 Quadratmeter umfassendes Quartier rund um die historischen Fabrikgebäude des ehemaligen Louis-Eilers-Campus.